The Others

The Others

Ein Medienprojekt zur kritischen Auseinandersetzung mit Vorurteilen

Wenn der biedere Opa plötzlich dem Gangster das Handy klaut, der schüchterne Nerd zum Helden wird, ein klassischer Musikliebhaber ein Rapstudio für immer verändert oder ein Modepüppchen mit Lebensklugheit zwei verfeindete Altersheimbewohner versöhnt – auf einmal ist alles ganz anders, als es zuerst den Anschein hatte.

Im Medienprojekt The Others trafen sich Jugendliche aus unterschiedlichen Klassen der Anni-Braun-Sprachförderschule, um an drei Vormittagen gemeinsam Filmclips zu produzieren. Im Fokus stand die Auseinandersetzung mit der Entstehung von Vorurteilen und das kritische Hinterfragen eigener Schubladen im Kopf. Ziel war es, ein Bewusstsein für Inszenierungsaspekte und Kontextualisierung von Bildern zu wecken und Mut zu machen, hinter die Fassade von äußerlichen Zuschreibungskategorien wie Rasse, Ethnie, Religion, Schicht oder Geschlecht zu blicken.

Um das Projekt möglichst niederschwellig zu halten, wurde nach der Devise BYOD (Bring your own device) gearbeitet. So dienten die eigenen Smartphones der Schüler*innen als Videokameras. Zusätzlich wurden zur Verbesserung der Bildqualität Stative zur Verfügung gestellt. Zwei Tablets und ein Laptop als Backup sowie ein Fotodrucker zur Erstellung des Gruppenplakats zum Projektende vervollständigten das Technikequipment.

Unter medienkultureller Anleitung setzten sich in The Others Schüler*innen der 5., 6. und 8. Jahrgangsstufe mit plakativen Bildern gewisser „Stereotypen“ (z.B. Gangster oder Karrierefrau) auseinander. Vom ersten äußerlichen Eindruck ausgehend wiesen die Teilnehmer*innen den abgebildeten Personen Charaktereigenschaften und Merkmale zu, die sie als passend erachteten. So entstanden zuerst einmal relativ statische Rollenfiguren, die als Protagonisten für die anschließend in altersgemischten Teams produzierten Filme dienen sollten. Während die Clips zumeist noch ganz klassisch im Sinne der vorherigen Kategorisierung starteten, ließen sich mentale Vereinfachungen und klischeehafte Vorurteile in der Storyentwicklung schnell nicht mehr aufrechterhalten. Ganz von selbst verschwammen so die anfangs gefundenen stereotypen Verhaltensweisen. Neue Eigenschaften und ungewohnte Wendungen in den Geschichten kamen hinzu. So eröffnete sich nach und nach ein differenziertes und vielschichtiges Charakterspektrum der einzelnen Rollenfiguren. Neue, aufregende Entwicklungen und ein ganz anderes Beziehungszusammenspiel waren auf einmal möglich – die „Anderen“ waren gar nicht mehr so fremd! 

Über die drei Projekttage konnte The Others auf diesem Weg spielerisch dazu anregen, auch einmal hinter die Fassade äußerlicher Merkmale wie Kleidung, Ethnie oder Geschlecht zu blicken und vorschnelle eindimensionale Zuschreibungen zu hinterfragen. Am letzten Projekttag setzten sich die Teilnehmer*innen zudem mit aktuell herrschenden Vorurteilen, medialen Inszenierungen und ihren eigenen biographischen Erfahrungen zum Thema auseinander.

Tag 1 – Wie spielen sich eigentlich Klischees?

Der erste Projekttag stand ganz im Zeichen der Rollenfindung. Zunächst wurden Poster der Stereotypen präsentiert. Darunter befanden sich die Figuren: Opa, Karrierefrau, Gangster, Nerd, Modepüppchen und Muslima. Im Vorfeld hatten Auswahl und Kategorisierung der Abbildungen im Übrigen auch die Projektverantwortlichen dazu angeregt, eigene Vorurteile und Klischeevorstellungen zu reflektieren. Zu den Bildern sollten die Schüler*innen nun Eigenschaften finden, die die Personen beschreiben. Welche Charaktereigenschaften haben sie? Was mögen sie? Was nicht? Wie leben sie? Haben sie Freunde oder Hobbies? Was sind ihre Träume? Was ihre Ängste? Haben sie vielleicht ein Lebensmotto oder verfolgen besondere Ziele? Hier fanden die Schüler*innen noch eher „klassische“ Zuschreibungen zu den einzelnen Bildern. Der junge Mann mit Migrationshintergrund wurde zum drogensüchtigen, rappenden Kriminellen, die modebewusst gekleidete junge Frau zur Botox gespritzten Influencerin, der Geld über alles geht, und der alte Mann zum grantelnden Bayer mit 3 Katzen und einer Vorliebe für klassische Musik.

Anschließend ging es in der Aula an die ersten Schauspielübungen. Die Teilnehmer*innen bewegten sich in spielerischen Einheiten durch den Raum und versuchten sich mit Körper, Stimme und Emotionen den Rollenfiguren anzunähern. Unter den Gesichtspunkten Ort – Beziehung – Konflikt wurden kleine spontane Szenen aufgebaut und den anderen vorgespielt. Anschließend fanden sich die alters- und klassengemischten Filmteams zusammen und ersannen erste Plotideen. Vorgabe war dabei lediglich, dass unterschiedliche Rollenstereotypen verkörpert wurden und ein/e Teilnehmer*in pro Gruppe die Kameraführung übernahm.

Tag 2 – Es ist nicht immer alles schwarz und weiß

Am zweiten Projekttag ging es dann an die filmische Umsetzung in 6 Gruppen mit jeweils 4-5 Jugendlichen. Nach einer kurzen Einführung zu Einstellungsgrößen, Kamerapositionen und Szenenaufbau entwickelten die Teilnehmer*innen ihre Ideen vom Vortag weiter, wählten Drehorte aus, inszenierten, probten und filmten ihre Geschichten. Die Kamerajungs und-Mädchen arbeiteten dabei mit ihren eigenen Smartphones, was bei den Jugendlichen prinzipiell großen Anklang fand. Schwierig war dabei aber der Einsatz unterschiedlicher Gerätetypen, die untereinander nicht kompatibel waren. Vergessene Ladekabel, nicht zuverlässig funktionierendes Schul-WLAN, untereinander nicht passende Adapter und Ähnliches erschwerten den kreativen Prozess zusätzlich. Hier wäre die Arbeit mit zuvor getesteten projekteigenen Geräten sicher einfacher gewesen. Dennoch war es für die Schüler etwas Besonderes mit ihren Smartphones zu arbeiten. Sie wurden damit auch noch einmal stärker befähigt, selbsttätig und ohne größere Hürden weitere Filmprojekte anzugehen.

In der Storyentwicklung zeigten sich am zweiten Tag immer stärkere Brüche in den klischeehaften Eigenschaften der Figuren. Die ursprüngliche Eindimensionalität führte nicht zu den gewünschten Handlungssträngen, so dass die Schüler*innen immer wieder ermuntert waren, neue Charakterzuschreibungen zu machen. So begann z.B. der Opa plötzlich zu klauen oder der fiese Gangster Mitleid zu zeigen und zu verzeihen. Und auch die Oberflächlichkeit der Mode-Mädels geriet schnell in Vergessenheit. Spannend war es, wie sich hier gerade anfangs eher „schwache“ Figuren, wie der sozial vereinsamte Nerd oder der alte Mann, zu starken Sympathieträgern und Helden entwickelten, die die Geschichte zu einem guten Abschluss führten. Ganz von selbst entwickelten die Teilnehmer*innen damit die Idee, dass oft mehr in einem Menschen steckt, als auf den ersten Blick erkennbar ist, und dass es immer weit mehr Nuancen gibt als ein klares Schwarz und Weiß.            

Tag 3 – Ein Blick hinter die Fassade

Nachdem die Teilnehmer*innen einen Rohschnitt ihrer Filmclips angefertigt hatten, ging es am dritten Tag schwerpunktmäßig darum, die Prozesse der vorangegangenen Einheiten greifbar zu machen und gemeinsam zu reflektieren. Es wurden noch einmal die Rollenzuschreibungen des ersten Tages ins Gedächtnis gerufen und gemeinsam überlegt, warum denn genau solche Eigenschaften mit den abgebildeten Personen in Verbindung gebracht worden waren und wie sich diese in den Filmgeschichten verändert hatten. In einem kurzen Exkurs wurden Parallelen zu aktuellen gesellschaftlichen Problemfeldern gezogen wie Fake News, Fremdenhass oder diffamierenden politischen Kampagnen. Dabei wurde das Augenmerk besonders auf die Rolle gelegt, die Bildinszenierungen und die dadurch aufgerufenen Emotionen, in den Prozessen der Ausgrenzung der „Anderen“ spielen. Ziel war es zu vermitteln, dass Bilder immer auch Inszenierungen sind und je nach Kontext ganz unterschiedlich interpretiert werden können und dass es sich lohnt hinter die Fassade der vorurteilsbehafteten Klischeeschubladen zu schauen. So sollte ein Bewusstsein für das Erkennen und Vermeiden diskriminierender, rassistischer und sexistischer Tendenzen in der eigenen Lebenswelt und Mediennutzung der Teilnehmer*innen geschaffen werden. The Others konnte damit idealerweise ein wenig dazu beitragen, ein demokratisches Miteinander zu fördern und gesellschaftlicher Spaltung entgegen zu wirken. In der letzten Einheit beschäftigten sich die Schüler*innen mit ihren eigenen biographischen Erlebnissen zum Thema Vorurteile. Hatten sie selbst schon einmal die Erfahrung gemacht, Zuschreibungen zu erhalten, die so ganz und gar nicht zutrafen? Steckte auch in ihnen ein Geheimnis hinter der Fassade? Dazu erstellten die Gruppen jeweils ein Fotoplakat mit verschiedenen Aussagen und reflektierten diese gemeinsam in den Kleingruppen. Die Jugendlichen zeigten sich dabei als sehr tolerant untereinander und fanden es vollkommen in Ordnung, dass z.B. auch Jungs Pink lieben, Rollstuhlfahrer sportbegeistert und Mädchen wild sein dürfen. Und auch, dass Jugendliche mit fremdländisch klingendem Namen selbstverständlich ein Teil Deutschlands sind! Berührend war, dass Schüler*innen, die ein wenig Probleme mit dem Sprechen hatten, immer wieder sinngemäß den Satz aufs Papier brachten: Viele Leute meinen, ich bin dumm, aber ich bin es gar nicht. Eine Aussage, die sich durch die tolle Umsetzung des The Others Projektes nur vollauf bestätigen lässt. So beeindruckten die Schüler*innen nicht nur ihre Lehrer, die über die Eigenständigkeit und Kreativität der Teilnehmenden vollauf begeistert waren. Sondern sie zogen selbst ein gutes Stück Stolz und Selbstvertrauen aus den sehr gelungenen Filmclips, die bei der gemeinsamen Premiere gebührend bestaunt wurden!