Eine Frage der Ehre?! Ein Projekt rund um das Thema Ehre

Nachdem der Begriff „Ehre“ durch das Bekanntwerden so genannter Ehrenmorde 2004 in den Fokus der Öffentlichkeit geriet, und wir in der Arbeit mit Jugendlichen sehr oft mit dem Thema konfrontiert wurden, initiierten die Initiativgruppe e.V. (IG) und das Jugendinformationszentrum (JIZ) im Herbst 2005 den Wettbewerb „Eine Frage der Ehre?!“. Unterstützt durch Partnereinrichtungen wurden bis Januar 2006 vielfältigte multimediale Beiträge zum Thema Ehre eingereicht, die zum Projektabschluss in eine von Jugendlichen und Honorarkräften geschaffene Website einflossen.

Bei einer großen Preisverleihung im März 06 wurden die Beiträge präsentiert, prämiert, und gleichzeitig auf der Homepage freigeschaltet. Die Wettbewerbsbeiträge sind gleichzeitig Basis einer Ausstellung, die fortan durch Münchner Jugendeinrichtungen und Schulen wandern soll, um eine Auseinandersetzung mit dem Thema weiter zu führen. Die Website sowie die Ausstellung bleiben offen für weitere Beiträge.

Im Projekt „Eine Frage der Ehre“ wurden Jugendliche beiderlei Geschlechts und mit unterschiedlicher kultureller Herkunft zur multimedialen Beschäftigung mit dem Begriff Ehre und ihrer eigenen Vorstellung davon animiert und dabei (medien-)pädagogisch unterstützt.

Ist Ehre an sich ein sehr abstrakter Begriff, so war er doch gerade im letzten Jahr vor allem durch die so genannten Ehrenmorde in der öffentlichen Diskussion negativ besetzt. Es war uns also klar, dass wir ein sehr sensibles Thema aufgegriffen haben. Die Ehrenmorde waren für viele Deutsche ein willkommener Anlass, die muslimische Kultur in ihrer Gesamtheit zu verurteilen, und die Basis des Zusammenlebens in einer multikulturellen Gesellschaft in Frage zu stellen. Wenn wir im Vorfeld zu diesem Projekt KollegInnen und Jugendliche zum Thema „Ehre“ befragt hatten, fiel uns immer wieder auf, dass Nichtdeutsche mit dem Begriff in der Regel sofort etwas anzufangen wussten, und dass Ehre etwas sehr wichtiges für sie war. Die Deutschen hingegen taten sich ungleich schwerer, weil der Begriff immer noch an die Nazi-Vergangenheit geknüpft ist. Tatsächlich wird der Begriff „Ehre“ deshalb in der hiesigen Kultur meist nur in Verbindung mit sportlichen Wettkämpfen benutzt, weniger im Zusammenhang mit Familie oder Religion. Daraus zu folgern, wie viele Nichtdeutsche und vor allem viele Muslime es tun, Deutsche hätten weniger Ehrgefühl, ist natürlich auch falsch. Wir stellten aber fest, dass für die meisten, vor allem jungen, Deutschen mit dem Ehrbegriff erst dann etwas anfangen können, wenn sie ihn in andere Begriffe übersetzen, z.B. Respekt, Achtung oder Würde.

Weil wir uns der Sensibilität des Themas bewusst waren, bemühten wir uns von Anfang an, vor der öffentlichen Ausschreibung des Wettbewerbs, um den regen Austausch in der Fachöffentlichkeit zu unserem Projekt. So initiierten wir eine regelmäßige Diskussionsrunde, an der sich z.B. Frau Dr. Anita Heiliger vom DJI, der Vorsitzende des Ausländerbeirates Cumali Naz, und viele interessierte PädagogInnen und PraktikantInnen beteiligt haben. Viele der prozessbeteiligten PädagogInnen haben dann auch tatsächlich Projekte mit „ihren“ Jugendlichen gestartet.

Die Beiträge

Bis Januar 2006 wurden vielfältige multimediale und web-kompatible Produkte von Jugendlichen hergestellt. 18 Gruppen und Schulklassen mit über 200 Jugendlichen beteiligten sich mit Homepage Video, Radiobeiträgen, Essays, Breakdance und HipHop, Comic, Fotos und einem Kalender. Alle Beiträge sind unter www.eine-frage-der-ehre.deabrufbar.

Am 10. März 2006 wurden die Ergebnisse mit einem großen Event für Jugendliche und Fachleute in der von der IG betriebenen Jugendfreizeitstätte „Feuerwache“ präsentiert. Diese Veranstaltung diente gleichzeitig als Vernissage der entstandenen Ausstellung „Eine Frage der Ehre?!“. Die Ausstellung ist das reelle Pendant zur virtuellen Homepage. In ihr können alle Arbeiten und Beiträge, die eingereicht wurden, angesehen bzw. –gehört und ggf. auch angefasst werden. Die Homepage ist damit also gewissermaßen begehbar. Die Ausstellung wandert nach dem Projektabschluss durch interessierte Einrichtungen der Jugendarbeit in und um München, mit der Möglichkeit, sie jeweils vor Ort zu ergänzen. Alle von den Jugendlichen produzierten Medien können natürlich weiterhin unabhängig von der Ausstellung auch auf der Website angeschaut werden.

Jugendliche, Medien und das Thema „Ehre“

Seitens des Stadtjugendamtes wurde das Projekt „Eine Frage der Ehre“ im Rahmen von „Neue Medien und Internet“ nur in den Bereichen Homepage und Wettbewerb gefördert. Die Bereiche Video, Audio, Radio und Wanderausstellung wurden mit Mitteln der Aktion Mensch/5000 x Zukunft ermöglicht. Es hat sich im Projekt gezeigt, dass das Teilprojekt Internet ohne die anderen Teilprojekte nicht zu realisieren gewesen wäre. Das Interesse der Jugendlichen am Internet selber war nicht besonders groß. Trotz ausgeschriebenen Seminaren und Angeboten zur Unterstützung für explizite Internet-Projekte gab es wenig bis keinerlei Resonanz. Die Jugendlichen des JPC, ursprünglich als Multiplikatoren vorgesehen, sind bei der Erarbeitung der Homepage und der Erarbeitung der Web-Kompatibilität weitgehend allein geblieben. Wir haben dafür folgende Erklärung: Internet allein schafft keine Inhalte. Internet ist lediglich ein Vehikel und ein Katalysator für „alte“ Medien wie Video, Radio, das geschriebene Wort, Fotos und Comic. Internet beeinflusst hierbei die Ästhetik, den Umfang und die Machart der Beiträge, die in ihm gebündelt sind. Doch Internet ohne „alte“ Medien bleibt eine blutleere Angelegenheit. Was aber auch nicht weiter verwundert, hat das Radio seinerzeit auch nicht Musiker überflüssig gemacht. So beschränkte sich die Aufgabe der Jugendlichen des Jugendprogrammierer-Centers (JPC) auf die Erstellung der Internetversion der Ausstellung.

Die Webseite umfasst alle erstellten Beiträge und bietet Interaktionsmöglichkeiten für die MitmacherInnen und BesucherInnen der realen Ausstellung. Das JIZ gewährleistet hierbei die rasche Umsetzung (hochladen neuer Beiträge) während der „Wanderschaft“ der Ausstellung durch Jugendeinrichtungen.

Die Resonanz auf das Projekt

Wir waren sehr überrascht, mit wie vielen Ideen, Kreativität und Engagement von den Jugendlichen Projekte umgesetzt worden sind. Dabei sind die erarbeiteten Beiträge nur die Spitze des Eisbergs der Auseinandersetzungen, die sonst noch in und um das Gesamtprojekt „Eine Frage der Ehre“ geführt wurden. Die Aspekte des Begriffs „Ehre“, die die Jugendlichen am meisten beschäftigt haben:

– Familie: Bei Jugendlichen aus kollektivistisch orientierten Kulturkreisen der zentrale Punkt überhaupt. Der Zusammenhalt der Familie wird hier immer als besonders wichtig hervorgehoben. Falls ein Familienmitglied in der Ehre gekränkt wird, ist immer die ganze Familie betroffen. Ist die Ehre nicht wiederherzustellen, kann es auch sein, dass ein Familienmitglied verstoßen wird. Bei den deutschen Jugendlichen ist die Familienehre anders gelagert. Sie ist meist im Zusammenhang mit Leistungsdenken und Karrierevorstellungen sowie der gegenseitigen Erwartungshaltung von Eltern und Kindern zu sehen. Stichworte hierbei: Arbeitslosigkeit, Schulversagen. (vgl. Beitrag „Auf der Suche nach der Ehre“ des SBZ Sendling).

– Religion: Der Wunsch nach Respekt vor der Religion hat sich gleichsam als roter Faden durch die Beiträge durchgezogen. Dies schließt die Freiheit ein, Religion ausüben zu können, und nicht wegen ihr verurteilt oder verachtet zu werden (vgl. Beitrag „Wahre Freundschaft“).

– Gewalt: Gewalt in der Realität, aber auch die Angst vor ihr, bleibt zentrales Thema in der Lebenswelt Jugendlicher. Angewandte Gewalt zieht, durch die Kulturen hindurch, immer eine Ehrverletzung mit sich. Die Jungen wenden Gewalt, wie hinlänglich bekannt, öfter an als Mädchen, was aber nicht bedeutet, dass Mädchen Gewaltanwendung weniger legitim finden (vgl. Beiträge „Krieg ist nicht gut“, „Abgedreht oder Evolution of Honor“, „HipHop Don´t Stop“)

– Sexualität: Hervorzuheben ist die in allen Kulturkreisen unter Jugendlichen anzutreffende Homophobie (vgl. Beiträge „Du musst keinen küssen“ oder „Auf der Suche nach der Ehre“), aber auch Themen wie Missbrauch, sexuelle Ausbeutung und Ehrenmorde in diesem Zusammenhang bleiben wichtig (vgl. Radiobeitrag Aquarium).

Doch nicht nur bei den Jugendlichen stießen wir auf große Resonanz auf den Wettbewerb, sondern auch bei der Fachöffentlichkeit. Unseren Wunsch, mit „Eine Frage der Ehre“ die Vernetzung Münchner Jugendeinrichtungen und Schulen voranzutreiben, haben wir uns erfüllt – zahlreiche Einrichtungen haben sich mit eigenen Projekten beteiligt oder auch zum politischen Diskurs beigetragen, der rund um den Wettbewerb entstanden sind. Auch der Arbeitskreis „Interkult“, der vom Münchner Ausländerbeirat initiiert wird, und seine TeilnehmerInnen aus dem pädagogischen und politischen Fachbereich beschäftigten sich auf seiner Sitzung am 10.3.06 intensiv mit dem Thema und unserem Projekt.

Schließlich wurde eine breitere Öffentlichkeit durch Presse und Radio informiert: so sendete das Interkulturelle Magazin des Bayerischen Rundfunks ein Interview mit den Initiatoren (B5, 9.10.05, nachzuhören auf der Website www.eine-frage-der-ehre.de. Bei der „Süddeutschen Zeitung“ [14.3.06, S. 47) klang das Resümee auf die abschließende Präsentation so: „Klatschen, Jubelrufe, Stimmengewirr – die Feuerwache vibriert vor lauter Energie. Eben noch haben drei Jugendliche mit Gitarren und Flöten den mit Discoscheinwerfern beleuchteten Raum in arabisches Flair gehüllt. Und nun Popkonzertatmosphäre: Der Leiter des JIZ verkündet, dass der Gewinner des Wettbewerbs noch schnell ausgelost werden muss. Applaus beim Publikum – also kein Wettbewerb auf Biegen und Brechen, sondern gegenseitiges Anfeuern, Bejubeln, Klatschen…Es ist, trotz aller Verschiedenheiten, diese gegenseitige Akzeptanz, die diesen Wettbewerb „Eine Frage der Ehre“ so wichtig macht. Im Publikum: Mädchen mit Kopftüchern, Jungs in Baggyhosen, Dunkelhäutige, Hellhäutige. An diesem Abend eine wunderbare Mixtur – und vielleicht auch ein Anreiz zum Nachdenken – über das Sprücheklopfen am Stammtisch hinaus.“


Veranstalter

Die Initiativgruppe Interkulturelle Begegnung und Bildung e.V.
Ansprechpartner: Michael Kröger
Karlstr. 50
80333 München
Telefon: 089 – 544 671-71
Website: www.initiativgruppe.de
E-Mail: m.kroeger@initiativgruppe.de

Die Initiativgruppe Interkulturelle Begegnung und Bildung e.V. (IG) wurde 1972 gegründet. Sie ist eine der ältesten und größten Bürgerinitiativen Münchens. Die IG hat die Vision von einer Gesellschaft gleichberechtigter BürgerInnen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Das Zusammenleben zwischen Deutschen und ethnischen Minderheiten zu gestalten, ist für die IG als multikulturelle und soziale Einrichtung von zentraler Bedeutung.

MigrantInnen sind immer noch sozial und politisch benachteiligt und ausgegrenzt. Die IG hilft MigrantInnen beim Prozess der Einwanderung. Die IG reagiert flexibel auf die spezifischen Lebenslagen von MigrantInnen und steht ihnen politisch zur Seite.
Das in der Vereinssatzung verankerte Ziel der IG ist, Integration durch Bildung zu erreichen. Deutsche Sprachkenntnisse und Mehrsprachigkeit zählen dabei zu den grundlegenden Kompetenzen für eine Integration in multikulturelle Lebens- und Arbeitswelten. Die IG engagiert sich dafür, den Zugang zu Bildungsressourcen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene beider Geschlechter zu öffnen. Darüber hinaus erfordert die besondere Lebenslage von MigrantInnen aus Sicht der IG eine migrationsspezifische Ausgestaltung der Bildungsangebote beim Spracherwerb und bei der schulischen und beruflichen Ausbildung. Die IG ist aber auch ein Ort der Begegnung. Interkulturelles Leben braucht städtische Inseln, wo die kulturellen Bedürfnisse der Minderheiten ungeschmälert zum Ausdruck gebracht werden können und wo ein Austausch zwischen den Kulturen stattfinden kann. In der IG sind BesucherInnen und MitarbeiterInnen ethnisch gemischt. Alle Konzepte und Leistungen der IG sind interkulturell ausgerichtet.

Die Projekte der IG im einzelnen: Kindertagesbetreuung, Schülerförderung, Interkulturelle Jugendarbeit, berufliche Orientierungshilfen beim Übergang Schule/Beruf, Mittags- und Nachmittagsbetreuung, Jugendkulturarbeit, Jugendverbandsarbeit, Jugendwohngemeinschaften (sozialpädagogisch betreutes Wohnen junger Erwachsener), Sozialpädagogische Lernhilfen (außerschulische Förderung von besonders Benachteiligten), „Bunt kickt gut!“ (Interkulturelle Jugendfußball-Liga), Ausbildungsbegleitende Hilfen (fachkundliche Stützkurse, Sprachförderung und sozialpädagogische Begleitung von Auszubildenden), Sprachkurse mit Kinderbetreuung für Frauen, Förderung von Frauen-Selbsthilfe, Projekt „Schule mal anders – Eltern lernen Deutsch“, Integrationskurse, Berufshinführung, Bildungs- und Berufsinformation für junge MigrantInnen, Computerkurse, Berufswegplanung für Migrantinnen, berufsqualifizierende Trainings- und Orientierungsmaßnahmen, Umschulungsbegleitende Hilfen, Deutschkurse, computergestütztes Lernen – Projekt: .Silbe., Buchhaltungsservice für soziale Vereine, Migrationssachverständigenstelle (Interkulturelle Öffnung der Regeldienste)

Jugendinformationszentrum München (JIZ) des KJR München-Stadt
Ansprechpartner: Stephan Hadrava
Paul-Heyse-Str. 22
80336 München
Telefon: 089 – 514 106 67
Website: www.jiz-muenchen.de
E-Mail: info@jiz-muenchen.de

Das JIZ wurde im Jahr 1967 eröffnet und war das erste Jugendinformationszentrum in Deutschland. Im Laufe der Zeit mit verschiedenen Schwerpunkten verfolgte es stets als Ziel, Jugendliche über alles und alle über Jugendliche zu informieren.

Das Jugendinformationszentrum, eine Einrichtung des Kreisjugendring München-Stadt, trägt einen programmatischen Namen: Jugendliche über alle Aspekte des privaten, gesellschaftlichen und politischen Lebens zu informieren, und sie damit fit zu machen, diese Bereiche ihres Lebens in den Griff zu bekommen, sie zu verstehen und mitzugestalten. Darüber hinaus wenden sich die Angebote des JIZ auch an alle, die mit Jugendlichen zu tun haben: Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Pädagoginnen und Pädagogen usw.

Das Informationszentrum ist mit Hunderten von Broschüren, Büchern, Materialordnern und öffentlichen Internet-Terminals sehr gut zum eigenen Recherchieren geeignet. Zu bestimmten Themen gibt das JIZ auch eigene Materialien und Publikationen heraus.

Die PädagogInnen des JIZ helfen bei der Klärung von Fragen, beraten anonym und kostenlos, sie vermitteln an die „richtigen“ Adressen. Auch im Krisenfall können sich Jugendliche an das JIZ wenden.

In den letzten Jahren wurde zunehmend Gewicht auf die Verfügbarkeit der JIZ-Informationen im Internet gelegt. Die umfassende Internet-Seite des JIZ ist sehr erfolgreich und im WorldWideWeb unter der www.jiz-muenchen.de zu finden. Kernstück dieses Angebotes ist die große Adress-Datenbank mit ca. 2.000 jugendrelevanten Adressen und Tipps. Daneben gibt es auch noch viele News, Link-Tipps sowie Material-, Projekt- und Beratungsinfos. Außerdem bietet das JIZ für junge Leute ein Jugendmagazin (www.infomaniax.de) und einen Veranstaltungskalender (www.under18.de) online an.