Mädchen und Jungs im Spiegel der Zeit – Ein Projekt zum Thema Verhältnis der Generationen

Früher war alles besser — oder etwa nicht? Mussten die Eltern nicht um vieles kämpfen, was bei den Mädchen und Jungs von heute als selbstverständlich gilt?

Das Projekt „Mädchen und Jungs im Spiegel der Zeit“ richtet sich an Jugendliche im Alter von 14 bis 16 Jahre und ist für größere Gruppen (Schulklassen) konzipiert. Durch einen Vergleich der Jugendzeit der Elterngeneration und der Jugendzeit heute gibt es Anstoß zur Diskussion über das (Rollen-)Bild von Jugend. Welche Unterschiede oder vielleicht auch Gemeinsamkeiten gibt es?

Der direkte Vergleich findet geschlechtsspezifisch statt, das heißt Mädchen befragen ihre Mütter und Jungs befragen ihre Väter. Parallel dazu findet eine Internetrecherche zu der Jugendzeit der Eltern statt. Die Ergebnisse werden anschließend gemeinsam mit den Jugendlichen im Internet veröffentlicht. Das Projekt hat ein offenes Ergebnis, es lädt die Jugendliche ein, sich mit der Generation der Eltern und mit der eigenen auseinander zu setzen.

Welche Kinofilme waren im Jahr 1976 in? Zu welcher Musik hat meine Mutter bzw. mein Vater das erste Mal geküsst? Welche Idole hatten meine Eltern, als sie so alt waren wie ich heute?“

Zu einer Zeitreise der besonderen Art lädt das Projekt „Mädchen und Jungs im Spiegel der Zeit“ ein: Jugendliche von heute tauchen ein in die Zeit, als ihre Eltern genauso alt waren wie die Teenager heute. Was für Vorlieben, Stars, Träume hatten die Eltern und wie unterscheidet sich das von der heutigen Jugendgenerationen. Die Jugendlichen begeben sich auf eine historische Spurensuche und präsentieren ihre Ergebnisse dazu im Internet. Das Besondere ist dabei, das der Vergleich mit den Eltern auf geschlechtsspezifische Art und Weise stattfindet, das heißt Mädchen befragen ihre Mütter und Jungs befragen ihre Väter.

Über sich selbst nachdenken durch die Konfrontation mit der Jugend der eigenen Eltern

Das derzeitige Bild von Mädchen und Jungen im Teenageralter ist ein anderes als das vor ca. 30 Jahren, als heutige Mütter und Väter Jugendliche waren. Im Laufe der Zeit haben sich die Einstellungen gegenüber jungen Menschen verändert, außerdem fand ein Wandel der eigenen Werte und Normen der jeweiligen Jugendgeneration statt. Der Blick allein auf geschlechtsspezifische Rollenverständnisse und Einstellungen zeigt, dass sich hier enormer Veränderungen vollzogen haben: Die Klischeevorstellungen der 70er Jahre von mädchenhaften Verhaltensweisen sind passé. Mädchenbilder von heute zeigen selbstbewusste und unabhängige junge Frauen, die mit beiden Beinen im Leben stehen. Auch die männlichen Zukunftsträume haben sich verändert: War es früher für junge Männer (fast) undenkbar, zu Hause zu bleiben und sich um die Erziehung der Kinder zu kümmern, ist diese Aussicht heute gar nicht mehr so abwegig.

Das Projekt „Mädchen und Jungs im Spiegel der Zeit“ greift diese Veränderungen auf und betrachtete sie auf verschiedene Arten. Bei den beteiligten Jugendlichen werden Reflexionsprozesse über die eigene Rolle als Junge oder Mädchen in Gang gesetzt, und so gleichzeitig die Persönlichkeitsentwicklung gefördert. Als motivierender Impuls wird dabei Vergangenes mit der Gegenwart in Verbindung gebracht und damit nicht nur die aktuelle Zeit mit ihren gesellschaftlichen Bedingungen analysiert, sondern auch Einstellungen, Werte und Normen der Vergangenheit aufgegriffen. Dies insbesondere aus der Zeit, in der die Mütter und die Väter der heutigen Jugendlichen im selben Alter waren.

Das Internet lädt zur Zeitreise ein

Heutige Jugendliche haben den großen Vorteil, dass Bilder, Musik, Filme und Informationen über die Gegenwart und die Jugendzeit der Eltern im Netz umfangreich archiviert und frei zugänglich sind (zum Beispiel in Fotosammlungen oder auf Internetseiten). Sie sind nicht mehr nur auf „oral history“ angewiesen, auf die mehr oder weniger aussagekräftigen Kommentare, sondern können auf diverse Medienprodukte zurückgreifen, die in Hülle und Fülle vorhanden sind.. Eine Reise in die Vergangenheit ist somit ein mediales Abenteuer. Aus auditiv-visuellen Puzzlestücken kann eine 14-Jährige heute das Lebensgefühl ihrer Mutter, als diese im selben Alter war, Stück für Stück rekonstruieren. Sie hat beispielsweise kein Problem damit, Jugendbilder ihrer Mutter zu finden und die modischen Trends der 70er optisch einzusehen. Selbst die „oldies but goldies“, auf die die Mutter eng umschlungen mit ihrer Jugendliebe in den siebten Himmel tanzte, sind heute (wieder) ohne Probleme über MP3-Basare erhältlich (wenn sie nicht ohnehin auf Kassette überdauert haben und auch das dazugehörende Abspielgerät noch vorhanden).

Wer hat teilgenommen?

Das Modellprojekt „Mädchen und Jungs im Spiegel der Zeit“ richtete sich an junge Menschen im Alter von 14 bis 16 Jahren. Mit dabei waren auch die jeweiligen Mütter bzw. Väter, die von ihren Kindern zu der eigenen Jugendzeit befragt werden. Eine Ausarbeitung der verschiedenen Projektideen und -bestandteile fand gemeinsam mit den Jugend-Computerclub (JCC) des SIN statt. Der JCC ist eine Gemeinschaft von Jugendlichen, die sich wöchentlich trifft, um gemeinsam die virtuellen Welten lernend zu entdecken.

Das Projekt ist auf größere Gruppe ausgelegt, hier vor allem Schulklassen der Klassenstufe 9 bis 10. Bis jetzt hat eine 10. Klasse am Projekt teilgenommen. Mit dieser Gruppe und den Jugendlichen aus dem JCC wurde das Modellprojekt durchgeführt. In diesem erprobten Rahmen werden jetzt weitere Schulklassen einen Vergleich zwischen der eigenen und der Generation der Eltern aufstellen.

Durch die Veröffentlichung der Ergebnisse im Internet haben auch Außenstehende die Möglichkeit, zum Projekt beizutragen. Zu diesem Zweck wurde auf den Webseiten ein Online-Voting eingebunden, Besucherinnen und Besucher der Seiten können hier über ihre Lieblinsmusiktitel oder -kinofilme aus den Jahren 1960 bis 1982 und 2005 abzustimmen. Wer sich nicht entscheiden kann, welcher Titel bzw. Film der eigene Favorit ist, kann auch einfach in den bisherigen Abstimmungs-Ergebnissen stöbern.

Der Projektverlauf

In der ersten Phase wurde das Konzept gemeinsam mit dem Jugend-Computerclub erarbeitet. Dabei war es zunächst Aufgabe der Jugendgruppe, Informationen zur Genderthematik „Geschlechterrollen heute und damals“ mit Hilfe des Internets zu sammeln.

Ebenso wie die ausführliche Internetrecherche ist aber auch die Befragung der beteiligten Gruppen ein Bestandteil des Projektes. Dazu wurde ein Fragebogen entwickelt, den die Eltern der Jugendlichen ausfüllen und so aus ihrer Jugendzeit berichten können. Auf diese Weise werden nicht nur allgemein bekannte Informationen, sondern auch individuelle und emotional gefärbte Aspekte in das umfangreiche Bild gestriger und heutiger Einstellungen zur Rolle von Mädchen und Jungen integriert. (Die Eltern-Fragebögen können auf der Projektwebsite (Link: http://www.xtrakt.muc.kobis.de/generationen) unter „Arbeitsmaterial“ eingesehen werden.) Für die Jugendliche gibt es keinen Fragebogen, denn diese geben ihrer Antworten direkt auf den Projekt-Webseiten ein.

Als erste Schulklasse besuchte uns dann die Klasse M 10 der Montessori-Schule in München-Großhadern an zwei Vormittagen. Im Vorfeld des Besuches hatten die SchülerInnen bereits nach Fotos ihrer Eltern in den Familien-Alben gesucht. Gefragt war nach Bildern, die die Mutter bzw. den Vater im gleichen Alter zeigen wie die Tochter bzw. den Sohn heute. Als zweite „Hausaufgabe“ hatten die SchülerInnen ihre Eltern mit Hilfe des schon erwähnten Fragebogens bereits nach den jeweiligen Vorlieben zum Thema Musik und Kino in ihrer Jugendzeit interviewt. Zu Beginn des Arbeitsaufenthalts haben sich die Jugendlichen dann zuerst mit einer digitalen Kamera gegenseitig fotografiert und nach Belieben am Computer nachbearbeitet. Mit Unterstützung der MitarbeiterInnen des SIN erstellten die SchülerInnen dann Internetseiten, auf denen sie jeweils sich und ihre Mutter bzw. ihren Vater gegenüberstellten. Diese Seiten füllten sie dann mit ihren eigenen und den Fotos ihrer Eltern und den Ergebnissen des Eltern-Fragebogens. In einem zweiten Schritt beschäftigten sich die Jugendlichen nun mit frei gewählten Themen und stellten Vergleiche zwischen der Jugendzeit der Eltern und heute an.

Pink Floyd in der Schule

So recherchierten die SchülerInnen der Montessori-Schule beispielsweise zum dem Thema Idole und beschäftigte sich außerdem mit dem Lied „Money“ von Pink Floyd. Besonders interessant ist hier der Bezug zu den verschiedenen Schulfächern, in diesem Fall das Fach Englisch. Der Liedtext wurde von den Jugendlichen erst aus dem Englischem ins Deutsche übersetzt und anschließend mit Hilfe des Internets mit bestehenden Übersetzungen verglichen. Anschließend machten sich die SchülerInnen Gedanken darüber, ob die Musik von Pink Floyd noch zeitgemäß ist bzw. warum sie so wichtig für die Generation ihrer Eltern war. Um diese Ergebnisse zu dokumentieren, haben die Jugendlichen wieder Webseiten erstellt, die dann in das Generationenprojekt eingebunden wurden.

Im Laufe des Modellprojekts ist schnell deutlich geworden, das neben den abrufbaren Ergebnissen im Internet vor allem die Gespräche innerhalb der beteiligten Gruppen besonders hervorzuheben sind. So fand mit den Jugendlichen aus dem Jugend-Computerclub eine lebhafte Diskussion über die Frage statt, ob die Generation der Eltern rebellischer als die heutige Jugendgeneration war oder nicht. Gerade die Mädchen fanden, dass sie heute viel mehr in Frage stellen würden als ihre Mütter in der Jugendzeit.

Doch nicht nur die Jugendlichen diskutierten untereinander, durch das Projekt und die gemeinsame Spurensuche kamen die Jugendlichen auch mit ihren Eltern ins Gespräch. Für die jungen Menschen war es besonders interessant, die eigene Mutter bzw. den eigenen Vater nach ihrer Jugendzeit zu interviewen. Dadurch angestoßen, haben auch die Eltern sich erinnert und untereinander ihre Generation mit der heutigen Jugendlichen verglichen.

Ein weiteres Merkmal des Projekts ist die Einladung an Außenstehende, sich an dem Projekt zu beteiligen. Auf den Internetseiten gibt es die Möglichkeit für alle BesucherInnen, online darüber abzustimmen, welche Filme bzw. Musiktitel man selbst in der Jugend favorisiert hat bzw. heute am liebsten mag.

Mediale Spiegelbilder von Mädchen und Jungs

Die Idole, Modetrends, Musikinteressen und Filmhits der Mädchen und Jungs im Vergleich mit denen ihrer Eltern sind Anhaltspunkte, anhand derer die Jugendlichen die Vergangenheit mit der Gegenwart vergleichen und Unterschiede feststellen können. Bei der Auseinandersetzung damit sollten die beteiligten Jugendlichen auch folgende Fragen beachten: Welche Unterschiede sind erkennbar, welche Gemeinsamkeiten tauchen auf? Wie hat sich das Rollenbild im Laufe der Zeit entwickelt?

Die Recherche zu den heutigen und vergangenen Gesellschaftsbedingung fand gemeinsam und heterogen, d. h. Mädchen und Jungs zusammen, statt. Dabei wurde es den Jugendlichen selbst überlassen, ob sie in geschlechtsspezifischen Interessensgruppen recherchieren wollten. Unsere Erfahrungen zeigen, dass die Annäherung und der Vergleich mit der Jugendzeit der Eltern größtenteils in gleichgeschlechtlichen Kleingruppen stattfand.

Am Ende ergaben sich medial aufbereitete Impressionen mit Aussagen über Mädchen und Jungen in ihren gesellschaftlichen Rollen. Je mehr das Ergebnis erkennbar wird, je mehr die Details sich verschärfen, desto mehr setzt ein Prozess ein, der die beteiligten jungen Menschen mit ihrem Werk konfrontiert und zum Reflektieren und Nachdenken über die eigene Jugend und Zukunft animiert.

Eine Einladung zur Selbstreflexion

Neben der Aufgabe, einige Webseiten zur eigenen und der Jugendgeneration der Eltern zu erstellen, sollten sich die Jugendlichen anhand der Recherchen mit den eigenen Wünschen und Hoffnungen für ihre Zukunft auseinander setzen: Wo sehen sich die Mädchen und Jungs von heute im Vergleich zur Mutter bzw. zum Vater? Das Projekt gibt den Beteiligten einen Impuls zur Reflexion des eigenen (Rollen-) Verständnisses. Dieser Impuls richtet sich aber nicht nur an die TeilnehmerInnen direkt, auch das fertige Ergebnis – die Internetplattform – soll zum Nachdenken anregen. So wird den jungen Menschen eine Möglichkeit gegeben, sich über die eigene Rolle in der Gesellschaft Gedanken zu machen. Ein Bespiel aus dem Projekt kann diesen Prozess veranschaulichen: Bei einer Diskussion mit dem JCC vertraten die Jugendlichen den Standpunkt, dass sie rebellischer als ihre Eltern sind. Auf die großen Studentenproteste zur Jugendzeit ihrer Eltern angesprochen, konnte sie zwar keine vergleichbaren heutigen Ereignisse dagegensetzen. Nach Meinung des JCC ist das rebellische Sein eher ein Gefühl bzw. eine Lebenseinstellung. Für sie manifestiert sich die Rebellion nicht so sehr auf einer gesellschaftlichen sondern vielmehr auf der persönlichen Ebene. Die Jugendlichen sagen, dass sie mehr individuelle Freiheiten als ihre Eltern haben. Sie können abends länger weggehen, die Freundin/der Freund darf bei ihnen übernachten und sie nehmen ihr Leben schon früh selbstbewusst wahr.

Neben der Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich stand vor allem auch die aktive Mediennutzung zu einem jugendrelevanten Thema im Vordergrund. Die Jugendlichen lernen so, fast nebenbei, die Medien als Rechercheinstrument und das Internet zur Veröffentlichung ihrer Ergebnisse zu nutzen.

Maßgeschneiderte Projektumsetzung

Das Projekt hat, nach seiner ersten Erprobung, den Vorteil, dass es individuell auf die Bedürfnisse von SchülerInnen und LehrerInnen, aber auch für Projekte der Kinder- und Jugendkulturarbeit zugeschnitten werden kann. Im Verlauf des „Generationenprojekts“ wurden Erfahrungen gesammelt, mit welchen Methoden das Interesse bei der Jugendgeneration von heute geweckt werden kann, sich mit der eigenen Geschlechtsidentität auseinanderzusetzen und ihnen die Möglichkeit zu geben, zu erfahren, dass auch ihre Eltern einstmals Jugendliche waren.


Veranstalter

 SIN – Studio im Netz e. V.
Ansprechpartner: Hans-Jürgen Palme
Haus der Medienbildung
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Telefon: 089 – 724677 – 00
Fax: 089 – 724677 – 01
E-Mail: sin@sin-net.de
Website: www.sin-net.de

Der SIN – Studio im Netz e.V. ist eine unabhängige medienpädagogische Facheinrichtung mit Sitz in München-Großhadern. Das SIN konzentriert den Schwerpunkt seiner Aktivitäten auf den Bereich „Kinder, Jugendliche und Multimedia“. Ziel der medienpädagogischen Arbeit ist es, einen Beitrag für eine gelungene persönliche und soziale Entfaltung von Heranwachsenden zu leisten, diese durch eine Fülle von Projekten und Seminaren zu realisieren und die Erfahrungen in pädagogischen Handreichungen weiterzugeben.

Bundesweit bekannt wurde das SIN durch medienpädagogische Modellprojekte wie „MuLa – Multimedia-Landschaften für Kinder“, „Kinderspuren im Internet“ oder den Software-Preis „Pädi“, der pädagogisch wertvolle Computerspiele auszeichnet. Das SIN verschickt auch monatlich einen Email-Newsletter für Münchner Kinder, der von einer Kinderredaktion aus einer bunten Palette von Themen und Neuigkeiten erstellt wird: http://xtrakt.de/newsletter1.htm