Der Multimedia-Parcours – Ein Projekt zu real-digitale Sinneserfahrungen

Kann die Nutzung der digitalen Medien eine körperliche Form erhalten? Sind die Welten aus dem Computer für die Sinne fassbar? Finden reale Sinneseindrücke eine digitale Abbildung? Was ist wirklich wirklich?

Die kreative Herausforderung des Projekts „Multimedia-Parcours“ liegt in der Erzeugung von sinnenreichen Aha-Erlebnissen (Sehen, Hören, Tasten) an der Schnittstelle von realer und virtueller Welt. Ein weiteres Anliegen des Projekts besteht darin, ein multimediales Angebot zu schaffen, bei dem sich so viele Kinder und Jugendliche wie möglich beteiligen können.

Das Modell-Projekt „Multimedia-Parcours“ ist sinnlich und massentauglich zugleich. In Gemeinschaft erleben Kinder und Jugendliche durch das Durchschreiten verschiedener Medien-Objekte die Verzahnung von realer und virtueller Welt. Die Teilnehmer/innen können z.B. Lärm und Schmutz sehen, Schrift hören, durch ihre eigenen Bewegungen das Spielgeschehen steuern oder sich auf eine virtuelle Weltreise begeben.

Eine Schar von Kindern schreit eine Ampel an bis sie rot wird. Gegenseitig fordern sich die Kinder durch Blickkontakte auf, jetzt wieder ganz leise zu werden, damit die Ampel auf grün schaltet. Nebenan wischen Kinder imaginäre Fenster, spielen Luftgitarre und Luftschlagzeug um die Wette. Gleich gegenüber steht eine Traube von Jugendlichen vor einer Beamer-Leinwand. Voller Leidenschaft singen sie in die Mikrophone das Lied „Im Abenteuerland“ und prüfen selbstkritisch, ob die Töne richtig getroffen werden …Die Geräuschkulisse ist vielleicht nichts für schwache Nerven, aber hier ist Leben zu spüren. Die Stimmung erinnert an einen Abenteuerspielplatz. Aber hier geht es nicht ums Verstecken, um Holz und Nägel oder um Sand und Wasser. Die Mädchen und Jungs sind umgeben von Computern und technischen Installationen, die sie auf die verschiedensten Weisen manipulieren: durch Schreien und Bewegung genauso wie durch Tippen und Mausbewegungen. Der Multimedia-Parcours räumt so mit dem Vorurteil auf, digitale Erlebnisse führten zu Vereinzelung: Das Gemeinschaftserlebnis, die Körper- und Sinneserfahrungen und der Spaß stehen hier eindeutig im Vordergrund.

Die Faszination gemeinschaftlicher Medienerlebnisse

Die Vorliebe junger Menschen für interaktive Medien ist nicht neu. Je mehr Interaktion und Aktivität möglich ist, je mehr Sinne beteiligt sind, je größer das Staunen ist, desto spannender ist das Medienerlebnis für Kinder und Jugendliche. Neu ist zum einen, dass die Industrie mittlerweile technische Endgeräte zur Verfügung stellt (z.B. Kameras, Mikrophone und Sensoren), die zwischen der realen und der virtuellen Welt vermitteln, so dass ein Spielen möglich wird, das über die Betätigung der Maushand hinausgeht. Neu ist zum anderen, diese Vorliebe junger Menschen für die digitalen Neuerungen mit der Freude gemeinschaftlicher Erlebnisse in einem Projekt zu verbinden und damit das Problem der oft sehr begrenzten TeilnehmerInnen-Zahl zu umgehen.

Digitaler Abenteuerspielplatz

Der Hintergrund für die Entwicklung des Multimedia-Parcours sind die vermehrten Anfragen an das SIN – Studio im Netz, bei Großveranstaltungen ein digitales Angebot zu stellen, das möglichst viele Kinder oder Jugendliche erreicht. Das erste Angebot dieser Art hat das SIN im Jahr 2004 bei der Veranstaltung „Rathaus offen für Kinder“ gemacht: In Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk stellten wir den „Schrei-O-Mat“ auf. Der stürmische Andrang hat uns angespornt, bei der Bundesgartenschau im Mai und Juli 2005 an insgesamt sechs Tagen weitere Großveranstaltungs-kompatible Ideen in die Tat umzusetzen. Über 1200 Kinder haben begeistert mitgemacht. Insgesamt haben wir im Lauf der Zeit für die unterschiedlichsten diversen Gelegenheiten bereits 10 Stationen entwickelt, , die die sich ausweitenden Cyberwelten in visueller, akustischer, haptischer und interaktiver Form thematisieren.

Die Stationen – Auf dem Pfad der Sinne

Ziel des Projektes ist es, dass junge Menschen die Cyberwelten im wahrsten Sinne des Wortes greifbar erleben. Im Vordergrund steht dabei aber nicht die rationale Vermittlung, sondern vielmehr die kontextbezogene und experimentelle Auseinandersetzung mit der Thematik innerhalb einer Gemeinschaft. Den Kontext dafür bieten folgende medienpädagogisch aufbereitete Medienobjekte:

Station 1: Lärm-O-Mat — Wir sehen, wie laut wir sind

Der Lärm-O-Mat visualisiert umgebenden Lärm in der Ampel-Symbolik: grün = wenig Lärm, rot = viel Lärm.

Station 2: Faszination Singen — Trefft die Töne!

SingStar ist ein Magnet, dem wohl nur Musik-Muffel widerstehen können. Neben der Freude am Singen, bekommen die Mädchen und Jungs auch vor Augen geführt, ob sie die Töne richtig treffen oder nicht.

Station 3: Du selbst bist das Spiel — Muskelkater garantiert

EyeToy ist ein Spielkonzept, das die Verbindung von Realem und Virtuellem auf anschauliche Weise ermöglicht. Durch das technische Schnittstellen-Gerät einer Kamera können die Spieler und Spielerinnen sich selbst im Fernsehen sehen und das Spielgeschehen mit den eigenen Bewegungen steuern.

Station 4: Verwirrte Augen – Überrasche dich selbst

Neu sind die Verwirrspiele nicht. Neu ist allerdings die Verbreitung dieser und anderer Spielchen, die ganz einfach per E-Mail an alle Bekannte geschickt werden. Mit dem Datenbeamer eröffnen sich neue Dimensionen der Vorführung und gemeinschaftlicher Reflexionen.

Station 5: Die Computerstimme — Deine Schrift wird hörbar

Eine interessante und fesselnde Erfahrung: seine Texte vom Computer aussprechen zu lassen. Die Software liest vor, was die BenutzerInnen vorher mit der Tastatur geschrieben haben.

Station 6: Bildschirm-Mikroskop – So muss die Welt für Ameisen aussehen

Mit einem „Bildschirm-Mikroskop“ ist es kinderleicht, alles, was man damit berührt, in Echtzeit auf dem Monitor vergrößert zu sehen. Ohne großen Aufwand können die Entdecker und Entdeckerinnen über die Perspektive einer Ameise staunen.

Station 7: Tanzmatte – Bring die Kuh zum Tanzen und dich selbst zum Schwitzen!

Man kann den Computer mittlerweile nicht nur durch Tatstatur-, Maus- oder Sprachbefehle steuern. Diese Matte zeigt, wie die Steuerung des PCs mit den Füßen funktioniert.

Station 8: Weltreise – Entdeckt die Geheimnisse unserer Erde!

Verschiedene Software ermöglicht es,, zahlreiche Vorgänge detailgetreu und realitätsnah auf dem Computer abgebildet zu sehen. Hier können die jungen Weltreisenden unsere Erde, ihre Naturschauspiele, ihre Städte und Landschaften etc. ganz nah erleben.

Station 9: Sprechen, Hören, Sehen – Das Spiel mit der eigenen Stimme

Die Stimme ist ein Stück des Selbst. Doch sich selbst zu hören, ist immer auch befremdlich. Die Kinder und Jugendlichen spielen an dieser Station mit ihrer eigenen Stimme: sie nehmen sich auf, hören sich gegenseitig an, lassen den Computer ihre Stimme erkennen und steuern damit den PC, verfremden ihre Stimmen und erzeugen dadurch seltsam anmutende Geräuschkulissen.

Station 10: Affen-Rhythmus – Hast du Rhythmus im Blut?

Trommeln, die an die Hardware angeschlossen werden, bieten die Möglichkeit, reales Rhythmus-Gefühl virtuell auszubauen.

Und was können wir hier machen?

An jedem dieser aufgestellten Medienobjekte des Multimedia-Parcours finden die Interessierten eine Stationsbeschreibung vor, in der zum einen erklärt wird, was an der Station zu tun ist. Zum anderen gibt sie Anregungen, die eigene Tätigkeit hinsichtlich der sich ausweitenden digitalen Welten sowie hinsichtlich unterschiedlicher Zugangs- und Wahrnehmungsformen zwischen Mädchen und Jungs zu reflektieren.

So heißt es zum Beispiel an Station 5 (Die Computerstimme): „Gebt eurem geschriebenen Wort eine Stimme, indem ihr ein Wort oder einen Satz in das Textfeld eingebt und dann auf „Sprechen“ klickt. Wählt unter „Stimme“ aus, ob eine Frauen- oder eine Männerstimme euren Text vorlesen soll.

Experimentiert ein wenig mit der digitalen Stimme, die laut ausspricht, was ihr euch nur zu schreiben traut!“

Oder an Station 3: „Du selbst bist das Spiel“: „Wer sich nicht bewegt, wird nicht gewinnen! Sucht euch ein Spiel aus, seht euch im Fernsehen und steuert das Spiel mit eurem vollem Körpereinsatz.

Welche Spiele wählen sich eigentlich die Mädchen unter euch aus? Und welche Spiele bevorzugen die Jungs? Gibt es überhaupt Unterschiede? Ach, und übrigens: stellt euch auf einen Muskelkater ein!“

Hört her, ich sing’ euch was!

Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass Mädchen und junge Frauen den digitalen Technologien eher mit Desinteresse begegnen als Jungs, wenn sie abstrakt thematisiert werden. Während die Jungs sich liebend gerne auch über Prozessoren und neueste Grafikkarten unterhalten, suchen Mädchen eher praxisnahe und sinnenreiche Zugänge. So schafft das Projekt „Multimedia-Parcours“ sinnliche Wege zu den digitalen Medien und sowohl Jungs als auch Mädchen treten ihnen so mit gleicher Begeisterung gegenüber. Beide – Mädchen und Jungs – sind gleich fasziniert, aber natürlich gehen sie anders mit den ihnen angebotenen Stationen um. Zum Beispiel greifen vermehrt Mädchen zu dem Spiel „SingStar“. Selbstbewusst nehmen sie die Mikrofone in die Hand, singen den anderen etwas vor und vergessen nicht selten alles um sich herum. Ideale Voraussetzungen für eine gelungene und natürliche Selbstinszenierung, denn die Jungs sind dabei nicht gelangweilt, sondern schauen den Mädchen sogar liebend gerne zu. Jungs singen auch gerne, aber legen nicht so viel Wert auf „schönes“ oder „richtiges“ Singen. Spaß haben sie vielmehr daran, extra falsch zu singen. Mühe geben sie sich allerdings, wenn sie mit Mädchen zusammen ein Duett singen.

Auch bei der Station „Lärm-O-Mat“ lässt sich beobachten, dass Mädchen die eigentliche Funktion der Ampel ernster nehmen als Jungs. Während die Mädchen natürlich auch mal gerne die Ampel durch lautes Schreien auf Rot bringen, dann aber lieber das sozial erwünschte Grün bevorzugen, sehen Jungs die Ampel als ständige Herausforderung, das rote Lämpchen zum Leuchten zu bringen.

Um diese und andere geschlechtsspezifischen Zugangsformen und Umgangsweisen noch detaillierter zu beschreiben, werden beim zukünftigen Einsatz des Multimedia-Parcours in homogenen Gruppen (Klassen, Hortgruppen) ganz konkrete gegengeschlechtliche Beobachtungsaufgaben im Umgang mit den einzelnen Modulen gestellt. Die Auswertung erfolgt in der Gruppe und zielt darauf, Rollenklischees zum Thema „Mädchen und Computer“ und „Jungs und Computer“ in animierender und sinnlicher Form zu hinterfragen.

Der Multimedia-Parcours im Prozeß

Die modulhafte Konzeption des Multimedia-Parcours erlaubt einen flexiblen Einsatz je nach Gruppengröße und verfügbarem Platz. Dabei kann und soll der Multimedia-Parcours als „Never-Ending-Project“ angesehen werden: Die digitalen Entwicklungen und die Vorlieben der Kinder und Jugendlichen werden stets genug Anregungen für weitere Stationen bieten. Stationen werden verschwinden und neue werden ergänzt werden. In Planung ist derzeit z.B. der Bau einer begehbaren Riesentastatur, auf der die Kinder laufen und mit ihren Füßen Texte in den PC schreiben können.

Somit ist der Multimedia-Parcours ein zeitgemäßes Projekt, das auch in Zukunft flexibel und anpassbar bleibt und die Faszination von Kindern und Jugendlichen an interaktiven Medien und die Freude gemeinschaftlicher Aktivitäten zu einem ästhetischen Medien-Erlebnis verbindet.


Veranstalter

SIN – Studio im Netz e. V.
Ansprechpartner: Hans-Jürgen Palme
Haus der Medienbildung Heiglhofstr. 1
81377 München
Telefon: 089 – 724677 – 00
Fax: 089 – 724677 – 01
E-Mail: sin@sin-net.de
Website: www.sin-net.de

Der SIN – Studio im Netz e.V. ist eine unabhängige medienpädagogische Facheinrichtung mit Sitz in München-Großhadern. Das SIN konzentriert den Schwerpunkt seiner Aktivitäten auf den Bereich „Kinder, Jugendliche und Multimedia“. Ziel der medienpädagogischen Arbeit ist es, einen Beitrag für eine gelungene persönliche und soziale Entfaltung von Heranwachsenden zu leisten, diese durch eine Fülle von Projekten und Seminaren zu realisieren und die Erfahrungen in pädagogischen Handreichungen weiterzugeben.

Bundesweit bekannt wurde das SIN durch medienpädagogische Modellprojekte wie „MuLa – Multimedia-Landschaften für Kinder“, „Kinderspuren im Internet“ oder den Software-Preis „Pädi“, der pädagogisch wertvolle Computerspiele auszeichnet. Das SIN verschickt auch monatlich einen Email-Newsletter für Münchner Kinder, der von einer Kinderredaktion aus einer bunten Palette von Themen und Neuigkeiten erstellt wird: http://xtrakt.de/newsletter1.htm